7. Expeditionsbericht vom 22.05. - 30.05.2005

Langsam wird es spannend!

22.5., gestern abend haben wir noch gemeinsam ernsthaft unsere Lage
erörtert und die Fakten fair und klar auf den Tisch gelegt. Faktum ist,
dass am 4. Juni unser Flieger geht, jeder zu Hause seine Termine hat
und uns der Jet-Stream bis Ende des Monats keine reelle Gipfelchance
gibt. Die logische Schlussfolgerung wäre, Expedition gelaufen, die
sieben Zwetschgen packen, Kopf in den Sand stecken und die Heimreise
antreten. Aber der Kari, unser Expeditionsleiter weiss, dass wir
geschlossen nicht aufgeben wollen und er trifft sofort eine sehr coole
Entscheidung: Alle Yaktransporte, Jeeps und Flüge um einige Tage
verschieben, voraussichtlicher Gipfelsturm um die Monatswende. Heute am
Vormittag läuft, bis alles organisiert ist, natürlich unser
Satelitentelefon heiss. Auch muss sich jetzt jeder Teilnehmer sofort
entscheiden, ob es für ihn besser ist, hier oben auf 6.400 Meter
insgesamt mindestes 10 Tage ununterbrochen auszuharren, oder für 3
Ruhetage einen Dreitagesmarsch in Kauf zu nehmen. Ich entscheide mich
als Einziger abzusteigen und nehme den Weg sofort in Angriff, damit ich
noch vor Eintritt der Dunkelheit ins Bace-Camp gelangen kann. Auf
diesem Weg überhole ich viele Bergsteiger, die total fertig sind, sie
alle sind am Gipfelangriff gescheitert. Ich treffe auch einen Spanier,
der in einem Gartenstuhl sitzend von 2 Tibetern talwärts getragen wird.
Er hat sich den Fuss gebrochen und hat grobe Erfrierungen erlitten.
Solche Bilder sind heute keine Seltenheit und geben mir schon etwas zu
denken.

Vom 23.5.-25.5. verbringe ich im Bace-Camp und ich kann mich nicht
besonders gut erholen, da ich etwas Dünnpfiff habe. Per Funk verfolge
ich das Geschehen am Berg. Am 21. und 22.5 haben die ersten 2 Gruppen,
insgesamt 20 Bergsteiger mit einigen Sherpas, unter extremen
Windverhältnissen den Gipfel erreicht. Beim Abstieg ist ein
slowenischer Bergsteiger knapp unterhalb des Gipfels gestorben und ein
halbes Dutzend haben grobe Erfrierungen erlitten. Die Gipfelstürmer
mussten leider einen hohen Preis bezahlen. In folgenden Tagen hat
niemand mehr den Gipfel erreicht und das Wetter ist weiterhin sehr
stürmisch.

Am 26. und 27.6. steige ich wieder ins ABC-Camp auf, denn es ist
möglich, dass wir bald besseres Wetter bekommen und Richtung Gipfel
aufbrechen können. Hunderte von Yaks kommen mir entgegen, viele
Expeditionen ziehen gerade erfolglos vom Berg ab. Ich spreche mit
vielen Bergsteigern. Manche sind froh, dass sie es vorbei haben, viele
sind bitter enttäuscht und sind sehr wortkarg. Auch mein Dünnpfiff hat
sich mittlerweile wieder beruhigt und ich komme voll fit im ABC-Camp
an.

28.6. - 30.6., das Pokern geht weiter, an welchem Tag sollen wir
starten. Jeden Tag ändert sich etwas der Wetterbericht und wir müssen
jetzt bald eine endgültige Entscheidung treffen. Der neueste
Wetterbericht sagt uns, dass der 4.6. ein guter Gipfeltag sein könnte,
eventuell auch schon ein Tag früher. Das heisst, dass wir morgen oder
übermorgen endgültig starten werden. Wir warten jetzt mehr als 3
Wochen, ein ständiges auf und ab, aber ich habe die Moral nicht
verloren. Ich bin voll motiviert, unsagbar viele Menschen haben mich
bei der Spendenaktion unterstützt und verfolgen mein Abenteuer. Am
Spendenkonto sind mittlerweile ca 22.000,-- für die ärmsten Menschen in
Afrika eingelangt und das gibt unsagbar viel Kraft auf den Gipfel zu
steigen. Auch meine Familie zu Hause steht voll hinter mir, hält die
Daumen und zittert mit. Sollte es zu gefährlich werden, dann werde ich
auch nicht die Entscheidung scheuen, rechtzeitig umzukehren. Ich bin
aber wahnsinnig optimistisch, dass ich es schaffen werde. Also bis
bald und Berg Heil auf dem höchsten Berg unserer Erde.

Christian