5. Expeditionsbericht 03.05.-12.05.2005

Wieder einmal Servus liebe Freunde meines Everest-Abenteuers!

Es ist wirklich Zeit, dass ich mich heute, den 3.5.2005, vom ABC-Camp
auf 6.400 Meter verabschiede. Mein Körper zeigt nach 9 Tagen in dieser
großen Höhe bereits erste komische Erscheinungen. Zum Beispiel hat
meine Zunge einen richtig dicken weissen Belag, so ähnlich als hätte
ich sie in einen Mehlsack gesteckt. Ich bin aber recht gut drauf und
auf diesen 26 km Wegstrecke zum Bace Camp gehen mir viele Gedanken durch
den Kopf.
Zum Beispiel ist mir mittlerweile klar geworden, dass die Dimensionen
an diesem Berg einfach anders und nicht vergleichbar mit einem
"kleinen" Achttausender sind. Hier kann ich unmöglich so eine schnelle
Aktion durchziehen wie letztes Jahr am Cho Oyu. Da riskierte ich es
nämlich ohne grosse Aklimatisation schnell auf den Gipfel aufzusteigen
und konnte noch am selben Tag weit in sichere Tiefen gelangen. Hier am
Everest ist so etwas unmöglich. Jedes Lager ist mindestens um 500
Meter höher aufgebaut, der Weg zum Berg und auf dem Gipfelgrat ist lang
und auf keinem anderen Berg im Himalaya tobt so erbarmungslos und
regelmässig der kalte Sturm.
Jetzt aber wieder zurück zu meinem Abstieg, wo ich für den "Grissamonns
Helli" eine nützliche Jagdbeobachtung machen konnte. So auf ca 6.000
Meter wechselten unmittelbar vor mir ein Rudel Blauschafe und knapp
dahinter einige hochkapitale Steinböcke den Talboden. Schade, dass der
Helli das nicht mit beobachten konnte. Er, dieser "wilde Hund", will
sich nämlich unbedingt einmal in diese Höhe vorwagen und so einen
kapitalen Steinbock erlegen. Ein Gewehr mit eingebauter
Notsauerstoffausrüstung hat er sich bereits anfertigen lassen. Wenn er
jetzt diese Informationen hat, dann kann leicht sein, dass er bereits
heuer im Herbst hier sein wird.

Heute am 4.5. bin ich den ganzen Tag damit beschäftigt, alle größeren
Expeditionen wegen meines defekten Expeditionsschuhes abzuklappern.
Beim meinem Schuh hat sich ja die Sohle etwas gelöst und das Risiko ist
mir zu gross, damit auf über 8.000 Meter aufzusteigen. Stellt euch
vor, die Sohle löst sich komplett vom Schuh, das Steigeisen hält nicht
mehr und du musst in diesem Zustand steil abfallende Eisflanken queren.
Dieses Szenario könnte einem wohl auch bei eisigster Kälte ins Schwitzen
bringen. Nach mehreren erfolglosen Versuchen spreche ich bei der
norwegischen Expedition vor und ich kann sofort ein angenehmes
Gesprächsklima aufbauen, da alle Teilnehmer Ischgl als Wintersportort
kennen. Und siehe da, der Expeditionsleiter hat einen übrigen Schuh,
genau in meiner Grösse parat, nur der Reisverschluss ist defekt. Dies
ist aber kein Problem, da dieses Modell einen stabilen zusätzlichen
Klebeverschluss hat. Ich bekomme diesen Schuh zum Mieten und ich bin
froh, dass das Problem gelöst ist.

Vom 5.5.-9.5. fahre ich gemeinsam mit meinem Expeditionskollegen Robert
nach Old-Tingri auf 4.100 m, in eine einfache und sehr primitive
Unterkunft. Ich möchte mich dort von meinem Husten erholen. Den ersten
Tag geht es mit einem Jeep bis nach Cheng Du, am nächsten Tag fahren wir
mit einem LKW weiter und Robert erkrankt auf dieser Fahrt plötzlich
und akut. Er hat Durchfall und sonst alle möglichen Zustände, wirklich
zum Erbarmen. In Old -Tingri erholen wir uns dann super und kehren am
9.5. wieder ins Basislager zurück. Der heutige Tag erinnert mich an ein
sehr intensives Erlebnis, denn genau vor einem Jahr, am 9.5.2004, stand
ich am Gipfel des Cho Oyu und ich habe diesen Berg jetzt gerade im
Blickfeld.

Heute am 10.5. setzt der gefürchtete Jet-Stream rund um den Everest
ein, Stürme bis zu 200 km/h toben im Gipfelbereich. Am Berg hat es in
den letzten Tagen starken Zuwachs an Neuschnee gegeben und die
Lawinengefahr ist akut.
Auch die erste Tragödie hat sich bereits abgespielt: Auf der Südseite
ist eine Lawine Richtung Lager 1 abgegangen. Mehrere Bergsteiger wurden
verschüttet und verletzt. Beim Abstieg von Lager 1 wurden bei einem
Spaltensturz 2 Bergsteiger getötet. Unser Lager auf 7.800 Meter ist
fast zur Gänze Opfer des Sturms geworden, also neu aufbauen. Unsere
Zelte am Nordcool auf 7.000 Meter sind sehr windgeschützt aufgebaut und
dürften keinen Schaden davontragen. Das wird auch gut so sein, denn wir
haben dort unsere gesamte Daunenausrüstung deponiert. Im ABC- Camp auf
6.400 Meter haben wir alle Zelte flachgelegt und mit grossen Steinen
beschwert und es dürfte dort ebenfalls kein Schaden entstehen. Im Bace
Camp hier sind unsere Zelte bereits härtegetestet und halten dem Sturm
locker, Stand. Wie ihr seht, schaut es momentan nicht rosig aus. Man
kann sich im Freien kaum aufhalten und wir müssen eben warten, warten
und nachmals warten. Ich persönlich lasse mich überhaupt nicht aus der
Ruhe bringen und ich weiss ganz genau, dass die Zeit kommen wird. Wir
werden dann aufsteigen und mit Vollgas angreifen, also alles klar zum
Gipfelangriff. Vorher werde ich mich aber, wenn möglich, noch bei Euch
melden.
Übrigens: Ich habe gehört, dass noch keine Grusskarten angekommen
sind, das tut mir wirklich sehr leid, da ich mir grosse Mühe gegeben
habe. Vor mehr als 4 Wochen habe ich über 400 Grusskarten von Kathmandu
aus an Euch versendet. In Nepal herrschen momentan aber
bürgerkriegsähnliche Zustände, alles läuft kaotisch ab und da besteht
die Gefahr, dass die Karten im Müll verschwinden. Ich verspreche Euch
aber, dass jeder Spender irgendwie und irgendwann eine Karte erhalten
wird.